Essays von selbsternannten AfD-Experten: Hört auf zu labern

Seit den Demos gegen rechts fabulieren täglich Typen über die Folgen dieser – ohne wirkliche Kenntnis. Dabei gibt es genug Expert:innen.

Menschen halten sich bei einem Protest gegen die AfD an den Händen

Die Analysen der Demos sind meist voller Banalitäten und Binsen Foto: Stefan Boness

Deutschland taumelt durchs Demomärchen und jeden Tag erscheint ein anderer Essay von irgendeinem Typen, der sich mehr oder weniger oder gar nicht mit AfD und Antifaschismus auskennt, dafür aber immer sehr genau weiß, welche Effekte die Demos haben werden. Sichtbar sind bislang vor allem zwei: Die Teilnehmenden fühlen sich danach gut und die Autoren schreiben danach viele „Analysen“.

Weil keine der bisherigen Strategien vermocht hat, den Aufstieg der AfD zu stoppen, brauchen wir dringend eine selbstkritische Debatte. Eine solche zu liefern, gaukelte der Essay „Schluss mit Faktenchecks“ in der aktuellen wochentaz vor. Verfasst wurde er vom Chefredakteur des verdienstvollen „Volksverpetzers“, eines Blogs, der die Rechten seit Jahren genauer beobachtet als der Verfassungsschutz. Voller Vorfreude stürzt man sich in die Lektüre.

Doch dann das: Die AfD profitiere von Trollhorden. Echt jetzt? Das weiß spätestens seit der ZDF-Doku „Lösch Dich“ von 2018 sogar mein Opa. „Narrative, Framings, Fake News …“ Hilfe! Nur Schlagwörter, kaum ein Gedanke! Stattdessen Binsen, die von Autonomen bis hin zu Anwälten längst Konsens sind: Ein Verbot sollte versucht werden, doch damit verschwinde das Gedankengut der AfD nicht. Ach nee! Auf erstes Semester Soziologie folgt bürgerliches Blabla – „Wir sind Demokraten, wir wollen bei den Fakten bleiben.“ Gähn. Keine Spur von einer Vision.

Wer sich nach dem Feuerwerk aus Allgemeinplätzen bis zum Ende durchbeißt, bleibt ratlos zurück: keine Faktenchecks mehr, okay. Aber kommt man der AfD durch die Wahrheit nun bei oder nicht? Beide Aussagen finden sich auf der Seite. Aber hey! Es hat bestimmt jeder schlecht verdienende Journalist Verständnis dafür, dass man(n) – wenn man schon mal eine unausgereifte Idee hat – gleich noch deren Gegenteil behauptet. Zack, wieder fünf Zeilen mehr vollgeschrieben.

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Dieser Rant ist überfällig

Doch das war nur die neuste Enttäuschung, dieser Rant hier ist seit Wochen fällig. Überall, in Talkshows und Zeitungen, lauern sie, die AfD-Krisen-Profiteure. Sie mögen ernsthaft besorgt sein und die besten Absichten verfolgen. Den Faschismus werden sie nicht aufhalten. Nicht auf diesem Niveau. Denn während auf Protestplakaten der Reim wichtiger sein mag als Begriffsmeierei: In einer Analyse sollte man „Nationalsozialismus“, „Faschismus“, „Rechtsextremismus“ nicht synonym verwenden. Welche Definition man auch bevorzugt, der Punkt ist: Man(n) sollte eine haben.

Schlimm sind aber auch diejenigen Akademiker, die zwar Begriffe richtig hinbekommen, aber dafür sonst nichts. Dank ihnen durften wir in einem anderen taz-Beitrag über den Aufstieg der AfD lernen, dass sich die repräsentative Demokratie in der Krise befindet – tatsächlich? – und Menschen Ängste haben. Wow! Tell me more! Und danach geh bitte zu einer Politgruppe und organisier mal irgendwas Praktisches! Texte lesen alleine reicht leider nicht, um die Gesellschaft zu verstehen.

Besonders fleißig sind gerade auch wieder die „Politikberater“. Sie bereichern zwar nicht, indem sie selbst forschen und die Ergebnisse teilen, denn sie haben ja keine, aber immerhin geben sie sich Mühe, Vorschläge für den antifaschistischen Praxisbetrieb, etwa im Osten, abzugeben.

Der Punkt ist klar, die Lage ist ernst. Statt Floskeln, alter Weisheiten und monokausaler Erklärungen brauchen wir: neue Ideen! Und Autor:innen, die komplexe wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich erklären, ohne den Bezug zu Politik und Straße völlig verloren zu haben. Ja, das ist schwer. Also bitte gebt euch mehr Mühe oder überlasst anderen das Feld.

Es gibt Expertise

Denn es gibt Expert:innen, die dazu in der Lage sind. Franziska Schutzbach hat vor ein paar Jahren die Rhetorik der Neuen Rechten exzellent auseinandergenommen und Empfehlungen für den Umgang damit ausgesprochen. Was sie wohl gerade umtreibt? Elke Rajal erforscht Gegenstrategien zu Rechtsextremismus und könnte sicher fundiertere Aussagen über deren Wirkung treffen als manch anderer. Oder man fragt Lena-Maria Böswald, die Digitalexpertin von „Machine Against The Rage“, was sie denkt. Das Portal analysiert das Netzwerk rund um die AfD auf Grundlage riesiger Datensätze und bereitet es visuell anschaulich auf.

Praktische Tipps gegen Verschwörungserzählungen und vielleicht auch für die Organisierung gegen rechts am Arbeitsplatz könnten Gewerkschafterinnen wie Ferda Berse geben. Wichtige Stimmen, die in Strategiedebatten nicht fehlen dürfen, sind Fantifa-Gruppen, also antifaschistische Frauen und Queers. Und auch der Instagram-Account von @ruth_lol, der es schafft, ei­ne:n mit Memes über Antisemitismus zum Lachen zu bringen, erscheint gehaltvoller als die essayistischen Ergüsse, die einige Autoren gerade in die Welt spritzen.

Was auch immer man am Ende von ihren Ansätzen halten mag: Um diese überhaupt kennenzulernen, sollten wir ihnen schleunigst Platz in der Zeitung gewähren – bevor sich das Zeitfenster einer Republik, die sich angeblich gerade für Antifaschismus interessiert, wieder schließt.

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Lotte Laloire ist Mitte 30 und immer noch links. Sie arbeitet seit 10 Jahren als Journalistin - für Medien wie taz, nd (Neues Deutschland), Tagesspiegel, Frankfurter Rundschau, Jungle World, Brigitte oder Deutschlandfunk.

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