Debatte um Bezahlkarte für Geflüchtete: Asylrechte eingeschränkt

Geflüchtete sollen eine Bezahlkarte statt Bargeld bekommen, eine Arbeitspflicht ist im Gespräch. Ist dieses System eine Chance oder nur Schikane?

Eine VISA-Debit Karte

Abschreckung? Eine Bezahlkarte, wie Baden-Württemberg sie an Geflüchtete geben will Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Bald soll Geflüchteten in Deutschland ein Teil ihres Geldes auf eine Bezahlkarte überwiesen, statt bar ausgezahlt werden. Wieso?

Die Bezahlkarte, auf die sich Bund und Länder geeinigt haben, soll verhindern, dass Geflüchtete Sozialleistungen anders verwenden als vorgesehen. Insbesondere konservative Po­li­ti­ke­r*in­nen argumentieren, Geflüchtete schickten ihr Geld oft ins Ausland oder an kriminelle Schleuser. Das ist mit der Bezahlkarte nicht mehr möglich, die soll Überweisungen prinzipiell ausschließen. Ansonsten soll sie zunächst wie eine reguläre Bankkarte funktionieren, man kann also im Supermarkt ganz normal damit einkaufen. Wenn Länder und Kommunen sich dafür entscheiden, sind aber noch weitere Einschränkungen möglich. Sie können etwa verfügen, dass nur in bestimmten Regionen bezahlt werden kann oder in bestimmten Branchen nicht eingekauft werden kann, bei Glücksspielanbietern etwa. All das bedeutet für die Geflüchteten einen deutlichen Eingriff in ihre Privatsphäre und ihre Entscheidungen sowie handfeste Nachteile im Alltag. Ohne Überweisung kann man schließlich auch nicht online einkaufen. Und nur mit Karte ist es oft schwierig, zum Beispiel in Second-Hand-Geschäften zu bezahlen.

Warum will man den Geflüchteten das Leben noch schwerer machen?

Tatsächlich geht es bei der Karte wohl um mehr, als nur darum, einen Geldfluss ins Ausland zu verhindern. Die Äußerungen der Be­für­wor­te­r*in­nen zeigen, dass sie sich zumindest indirekt einen Abschreckungseffekt erhoffen. Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) etwa sagte im Februar, die Karte sei nötig, „um Anreize für irreguläre Migration zu senken“. Dahinter steckt die Theorie von „Pull-Faktoren“. Danach fliehen Menschen nicht nur wegen Krieg, Verfolgung und Armut in ihrem Herkunftsort, den sogenannten Push-Faktoren, sondern auch, weil bestimmte Gründe sie zu anderen Orten „hinziehen“. Bei Pull-Faktoren soll es sich etwa um bessere Lebensbedingungen handeln, oder eben um Geld und die Chance, davon einen Teil zurück zu Angehörigen im Herkunftsland überweisen zu können.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Lässt sich das „Pull-Faktor“-Argument entkräften?

Es ist fraglich, ob „Pull-Faktoren“ so wirken, wie das behauptet wird – oder ob sie überhaupt existieren. In der Wissenschaft spielt die Theorie jedenfalls keine Rolle mehr. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags kam 2020 zu dem Fazit, die These sei grob vereinfachend, „mittlerweile vielfach empirisch widerlegt“ und „nicht dazu in der Lage, die wechselhafte Dynamik des Migrationsgeschehens zu verstehen“.

Wie sehen Menschenrechtsorganisationen die Karte?

Die sind entsetzt und fürchten, dass sich die Lebensbedingungen der Geflüchteten weiter verschlechtern. Tareq Alaows von Pro Asyl sagt: „Die Kommunen erhalten große Freiheiten, Menschen zu diskriminieren.“ Auch die Arbeiterwohlfahrt und der Paritätische warnen in einem offenen Brief, die Einführung werde „Armut vergrößern und Teilhabe verhindern.“ Der Rat für Migration nennt die Behauptung, Geflüchtete würden substanzielle Summen ins Ausland überweisen, „spekulativ, wissenschaftlich unhaltbar und integrationspolitisch kontraproduktiv“. Diese Aussage unterstützen auch die Zahlen. Zum einen bekommen Asyl­be­wer­be­r*in­nen nur 370 bis 470 Euro im Monat, die oft vor Ort benötigt werden. Zum andern zeigen die wenigen Statistiken, die es zu Auslandsüberweisungen gibt, dass es um geringe Beträge geht. Nur 12 Prozent aller Rücküberweisungen gehen derzeit in sogenannte Asylherkunftsländer, aus denen viele Geflüchtete stammen, etwa Syrien oder Irak. Davon dürfte noch ein deutlicher Anteil auf reguläre Ar­beits­mi­gran­t*in­nen entfallen. Außerdem gibt es noch die Befürchtung eines „Spill-Overs“: Viele fürchten, dass das Bezahlkartenmodell bald auch auf andere Gruppen ausgeweitet werden könnte. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Maximilian Mörseburg stellte etwa öffentlich Überlegungen an, auch das Bürgergeld künftig nur noch auf Karten zu überweisen. Damit könnte am Ende ein Kontrollinstrument entstehen, das sich gegen verschiedene Gruppen armer und verletzlicher Menschen richtet.

Könnte die Bezahlkarte nicht auch den Verwaltungsaufwand im Asylsystem senken?

Ein Pilotprojekt in Hannover zeigt, dass die Karte auch eine Chance sein könnte. Das dortige Modell entspricht einer regulären Bankkarte mit Konto, Einschränkungen gibt es nicht. Für Geflüchtete, die bisher kein Konto hatten, ist das eine Verbesserung. Laut Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) senke das tatsächlich auch den Verwaltungsaufwand. Aber große Hoffnungen, dass die Karte flächendeckend in dieser Form eingeführt wird, sollte man sich nicht machen. Die Äußerungen aus den unionsgeführten Ländern zeigen, dass sie die Karte zumindest implizit als Werkzeug sehen, um Geflüchtete zu drangsalieren.

Hat die Ampel nicht mal eine humanere Migrationspolitik versprochen?

Davon ist nicht viel übrig. Die SPD hat spätestens 2023 viele ihrer progressiveren Grundsätze über Bord geworfen. Der FDP war Asylpolitik noch nie besonders wichtig, und die Grünen protestieren zwar regelmäßig gegen neue Verschärfungen, knicken dann aber doch ein. So lief es auch bei der Bezahlkarte: Dass die kommen soll, hatten die Länder schon im Januar beschlossen, sie forderten seitdem aber auch, diese Verschärfung im Asylbewerberleistungsgesetz festzuhalten, um eine einheitliche Umsetzung zu garantieren. Die Grünen sperrten sich erst in der Bundesregierung, gaben am 1. März aber doch nach.

Was ist mit der Arbeitspflicht, die jetzt diskutiert wird?

Lokal ist es schon jetzt möglich, Asyl­be­wer­be­r*in­nen zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten. Der Landrat im Saale-Orla-Kreis, Christian Herrgott (CDU), ist diesen Schritt gegangen und wurde viel dafür kritisiert, dass die Geflüchteten dort nun für 80 Cent die Stunde schuften. Eine Arbeitspflicht für sozialversicherungspflichtige Jobs mit normalem Lohn ist bisher rechtlich nicht möglich. Dafür fordern jetzt Unions-Politiker*innen eine Gesetzesänderung.

Ist es nicht richtig, Geflüchtete in Jobs zu bringen?

Arbeit ist wichtig, um sich in einer neuen Gesellschaft einzufinden. Deshalb hat die Bundesregierung zuletzt einen „Jobturbo“ angekündigt, um mehr Geflüchteten zu Jobs zu verhelfen, etwa mithilfe einer engeren Betreuung durch die Agentur für Arbeit. Ob erzwungene Arbeit für mehr Integration sorgt, ist aber fraglich. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats Integration und Migration, Hans Vorländer, sagt: „Die Arbeitsgelegenheiten werden wohl kaum den etwaigen Qualifikationen und auch Interessen der Betroffenen entsprechen.“ Zudem scheint es bei den Forderungen nach einer Arbeitspflicht oft weniger um das Wohl der Geflüchteten zu gehen, als um die Haltung, dass es einer Art Gegenleistung bedürfe, um Schutz zu erhalten. Dabei ist der Gedanke des Asylrechts ja gerade nicht, dass Geflüchtete nur kommen dürfen, wenn sie der deutschen Gesellschaft einen Nutzen bringen. Stattdessen soll Hilfe erhalten, wer sie benötigt. Diese Idee ist auch direkte Lehre aus den 1930er Jahren, als Jüd*innen, die aus Nazideutschland flohen, in vielen Ländern abgewiesen wurden.

Wie kann man den freiwilligen Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern?

Ein Schritt wäre, die Arbeitsverbote zu kippen, die derzeit gelten. Viele Geflüchtete würden gern arbeiten, dürfen aber nicht, auch wenn die Ampel einige Regelungen zuletzt gelockert hat. Nach wie vor gilt aber ein Arbeitsverbot in den ersten drei Monaten nach Ankunft. Wer in einer Geflüchtetenunterkunft lebt, darf sogar erst nach sechs oder neun Monaten arbeiten. Und auch danach gibt es noch Einschränkungen für bestimmte Gruppen. Da scheint es absurd, über Arbeitspflicht zu diskutieren. Tareq Alaows von Pro Asyl nennt die Debatte „menschenverachtend und rassistisch“. Es werde suggeriert, Geflüchtete seien arbeitsunwillig, dabei verbauen die aktuellen Regelungen vielen systematisch den Zugang zu Jobs.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.