Arbeitskampf in Thüringen: Zu prollig für die Antifa

Statt wie früher auf Demos zu gehen, steht Katja Barthold heute als Gewerkschaftssekretärin frühmorgens mit Arbeiter:innen beim Warnstreik.

Eine dunkelhaarige Frau im roten Mantel

Katja Barthold begleitet den Warnstreik der Mitarbeiter/innen der Firma epsa GmbH in Saalfeld Foto: Roger Hagmann

SAALFELD taz | Katja Barthold hat die lockigen Haare eingedreht und nach hinten gesteckt, wie Boxerinnen es tun. „Ich komm aus Karl-Marx-Stadt!“, singt sie laut den Song aus der Autoanlage mit. Drei Leute laufen auf der anderen Straßenseite Schlangenlinien. „Die kommen von einer Party, wir fahren zum Warnstreik. Mann, hat sich mein Leben verändert.“ Es ist zehn vor fünf an einem Donnerstagmorgen im Dezember.

Katja Barthold kommt tatsächlich aus Karl-Marx-Stadt, das in ihrer Kindheit zu Chemnitz wurde. Ihr Weg ging von der zerfallenden Malocherstadt an die Universität, vom Dorfpunk, die vor „Faschos“ wegläuft, zur intellektuellen Linken, die sich mit Rassismus, und Identitätspolitik auseinandersetzt. Heute kämpft sie mit Arbeiter:innen im thüringischen Hinterland.

„Wenn wir weiße Arbeiter sagen und Nazis meinen, dann können wir gleich aufhören“, sagt Barthold. Damit stieß sie an die Toleranzgrenzen der Antifa. Sie hat sich gelöst, ist zurückgekehrt zu ihren Leuten. Das wiederum stellt ihre Toleranz auf die Probe. Und: Es ist Arbeit.

Als Barthold um halb sechs aus dem Auto steigt, zeigt das Thermometer drei Grad minus. Sie zieht einen roten Anorak an und klemmt sich einen großen Papierstapel vor die schmale Brust. In dem Gewerbegebiet bei Saalfeld ist es stockdunkel, nur ein gelber Kleinwagen leuchtet. Zwei Frauen spannen einen silbernen Frostschutz über die Windschutzscheibe. „Morgen!“, sagen sie, zünden sich noch eine Zigarette an, bevor sie ins Werk gehen. „Na gib ma so nen Zettel her“, sagt eine. Darauf steht in Arial fett, schwarz: „Die Friedenspflicht ist um: Warnstreik!“

Zum Arbeiten geht's hinten rein

Eine Viertelstunde später ist der Parkplatz vor dem Werk der „EPSa“, dem Elektronik- und Präzisionsbau Saalfeld, voll. Ein Facharbeiter mit Zickenbart und gegeltem Haar ruft seinen Kolleg:innen zu: „Heut ist der Tag der Tage! Bist du dabei?“ Ohne Mütze oder Handschuhe verteilt er Bartholds Zettel, während die dick eingepackt von einem Fuß auf den anderen tippelt. „Hier vorne geht’s zu Verwaltung und Büro, zum Arbeiten geht’s da hinten rein“.

Manche nehmen das Flugblatt schüchtern entgegen, andere laufen vorbei. „Ich weiß nicht, wie viele mitmachen. Das kannst du hier nicht mit anderen Betrieben vergleichen. Das ist wie eine Diktatur“, sagt ein junger Mann mit Basecap. Er zieht eine Zigarette aus einer Maxi-Packung und erzählt.

Als sie begannen mehr Lohn zu fordern, habe es eine Einschüchterungskampagne der Geschäftsführung gegeben. Der Manteltarifvertrag sei kürzlich gekündigt worden, sogar ein Betriebsrat wurde gefeuert.

„Die Kacke ist hier richtig am Dampfen, die machen Jagd auf Einzelne“, rechtfertigt der Mann seinen Wunsch nach Anonymität. Seit acht Jahren arbeitet er hier. Jeden Morgen um 6 geht’s los, 38 Stunden die Woche. Dafür verdienen er und seine Kolleg:innen deutlich weniger als es in der Region üblich ist.

Schichtbeginn. Schlagartig wird es still

Die an diesem Tag geforderten 7 Prozent Lohnerhöhung nennt die Geschäftsleitung von EPSa einen „nicht wirtschaftlich planbaren Ansatz“. Es fehle an einem „gemeinsamen Grundverständnis“ für eine Verhandlung, heißt es auf Anfrage. Der Chef parke seinen BMW neuerdings nicht mehr vor dem Werk, heißt es an dem Morgen auf dem Parkplatz.

Dann kräht tatsächlich ein Hahn, in Saalfeld schlagen die Kirchenglocken sechs. Schichtbeginn. Schlagartig wird es still.

Während die Arbeiter:innen die Maschinen hochfahren, sitzt Katja Barthold in einer Bäckerei im Ort. Vor ihr stehen ein Cappuccino und ein Schoko­croissant. „Ich habe schon überlegt, ob das ein richtiger Job für mich ist. Man kommt nie an den Punkt, wo alles gut ist.“ Es sei unklar, wie der Tag heute ausgeht. „Und wenn man nicht vorher weiß, wie viele kommen, dann hat man schlecht organisiert!“ Heute sollten es mindestens 50 sein.

Ursprünglich wollte Katja Barthold Journalistin werden. Neben Studium und linkem Aktivismus war sie Chefredakteurin der Unizeitung in Jena. Einen Schwerpunkt setzte sie auf Menschen aus dem Ausland und sozial Aktive. „Das war so 2008. Zu der Zeit haben wir Linke uns viel mit Flüchtlingsfragen beschäftigt und hatten auch Erfolge.“ An Hartz-IV-Protesten hätte man sich jedoch versäumt zu beteiligen.

Streik in Saalfeld.

Streik in Saalfeld Foto: Roger Hagmann

Zum „Outlaw“, wie sie selbst sagt, wurde Barthold, als die Antifas nicht mehr wie in den 1990ern von der Straße kamen, „aus dem Milieu, in dem auch Nazis rumhängen“. Die Neuzugänge „haben nicht mehr auch mit Menschen gearbeitet, die sie selber nicht gut finden“, erinnert sie sich. „Ich habe damals noch nicht verstanden, dass ich viel zu prollig bin für die Linke.“

„Man war von der Angst geprägt, was Falsches zu sagen.“ Das eskalierte, als sie für die Unizeitung gemeinsam mit einem Kollegen einen Mann interviewte, den sie seinerzeit für einen „Nazi-Mitläufer“ hielten, „um herauszufinden, wie solche Leute von Kadern eingefangen werden“. Die Antifa ließ die Zeitungen im Tausch für Club Mate einsammeln und warf sie zerrissen auf den Unicampus. „Das war mein erster Bruch mit der linken Szene.“ Barthold lacht bitter.

„Streik! Was für ein wunderbarer Tag. Ich mach nicht mehr, was du mir sagst“, klingt Rio Reiser durch Boxen auf den Vorplatz der Firmenauffahrt in Saalfeld. Die Sonne sticht inzwischen durch die kalte Luft, der Himmel ist blau. Es ist viertel zehn: Frühstückspause. Vor dem Werktor von EPSa hat Katja Barthold Boxen aufgebaut und einen langen Klapptisch, an dem mit braunem Paketband ein Transparent befestigt ist: „Warnstreik. Unser gutes Recht“. Der Tisch ist mit Lebkuchen, Spekulatius und Trillerpfeifen gedeckt.

„Gefühlt bin ich Stahlarbeiter, aber hier sind wir Studierte“

Auf der anderen Straßenseite stehen neun Leute um ein Auto, auf der Kofferraumklappe liegt ein Böhse-Onkelz-Schal. Sie schauen mit zusammengezogenen Brauen umher. Um halb zehn macht Katja Barthold die Musik leiser und greift zögerlich zum Mikrofon. Plötzlich fängt die kleine Gruppe an zu applaudieren, denn hinter der Häuser­ecke kommen immer mehr Leute hervor. In Blaumann, Pudelmütze, Anorak, weißen Stiefeln, Basecap, Sneakern. Frauen und Männer, alt wie jung, aus Werk und Büro.

Mitte Hände arbeiten

„Danke, dass ihr alle hier seid. Die Geschäftsführung hat versucht, euch zu spalten“, sagt Katja Barthold durch das Mikrofon. Die Streikenden unterstützen ihre Worte mit Trillerpfeifen. 62, zählt Barthold. Über ihnen steht eine Wolke aus warmer Luft und Zigarettenqualm.

„Es sind jetzt nicht nur Linkenwähler hier draußen“, sagt Betriebsrat Christian Hübner über seine dunklen Augenränder. Für gewöhnlich streiken eher die, die „mitte Hände arbeiten“, sagt ein Mann in schwarzer Lederjacke.

Die vier Frauen neben ihm tragen Perlenohrringe, akkurat gesteckte Frisuren. Eine von ihnen ist Marion Gollub. Wie die anderen Frauen arbeitet sie mit den Händen. „Was politisch ist, spielt hier keine Rolle. Es geht um den Betrieb“, sagt sie. Gemeinsam mit ihren Kolleg:innen hält sie das rote Gewerkschaftstransparent lächelnd in die Kamera eines Lokaljournalisten.

„Sie sind stolz auf das, was sie machen. Sie werden dafür nur nicht gewürdigt“, sagt Katja Barthold. Da sei auch der Ansatzpunkt der Rechten. „Die sagen nicht: Wir sind ausländerfeindlich, kommt mal alle her. Sie sagen: Wir sind für euch da. So hat es die AfD geschafft: Mit der Wertschätzung, die sie von uns akademischen Linken nie bekommen haben.“

Kannst du mit der AfD abhaken

Der Job als Intellektuelle sei es, eine Plattform zu schaffen, meint Barthold. „Gefühlt bin ich Stahlarbeiter, aber im Betrieb sind wir die Studierten. Erst mal will niemand mit uns reden. Jemand, der studiert hat, ist sogar ein Gegner, weil die Menschen da es einfach noch nie erlebt haben, dass jemand seine Bildung nutzt, um etwas für sie zu tun.“

Das alles kostet Zeit und Kraft, es ist Bildungsarbeit, sagt Barthold. „Wenn jemand wirklich rechts argumentiert, dann verschwende ich keine Sekunde mit dem. Aber ich kann nicht sagen: ‚Wir müssen erst alle perfekt sein und dann können wir kämpfen‘.“ Ein guter Zugang sei ein geschichtlicher Bezug. So kann Barthold klarmachen: „Mitbestimmung im Betrieb kannst du abhaken, wenn die AfDler an der Macht sind.“

„Warum seid ihr hier?“, fragt Barthold in die Runde. „Tarifvertrag, das wollen wir!“ antworten die Arbeiter:innen. Bald drei Stunden stehen sie hier draußen. Zehen werden unbeweglich, doch die Stimmen sind laut, die Stimmung ist gelöst. „Wie viel Prozent wollen wir?“, fragt Barthold. „Fuffzehn!“, sticht einer aus der Masse.

Als am nächsten Mittag ihr Telefon klingelt, sitzt Katja Barthold wieder im Auto. Sie hört wieder „Karl-Marx-Stadt“. Am anderen Ende der Leitung ist ein Mitarbeiter von EPSa. Er bedankt sich für den Warnstreik. „Jetzt sagen sich die Leute auch endlich mal wieder Hallo!“ Und im neuen Jahr wolle man wieder einen Warnstreik machen, dann mit noch mehr Leuten.

Anmerkung: In einer früheren Versionen dieses Textes wurde die Bezeichnung des Interviewten als „Nazi-Mitläufer“ nicht als Meinungsäußerung von Katja Barthold gekennzeichnet.

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