Intoleranz in der Ukraine: Politik streitet über Pyjama-Party

Im ukrainischen Luzk haben Schü­le­r*in­nen einen „Tag der Gleichstellung der Geschlechter“ veranstaltet. Danach droht dem Direktor die Kündigung.

angeklebte Wimpern in Regenbogenfarben

Augenblick in Regenbogenfarben Foto: reuters

LUZK taz | Kurz vor Beginn der Sommerferien geht es in den Schulen der Ukraine immer sehr informell zu. Man macht Ausflüge, geht in den Park und macht sich eine schöne Zeit. An einer Schule bei uns in Luzk gab es einen „Tag der Gleichstellung der Geschlechter“, man sprach über gesellschaftliche Vielfalt und Menschenrechte.

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Die älteren Schü­le­r*in­nen kamen in Schlafanzügen, teils in den eigenen, manche Jungs trugen aber auch Nachthemden. Sie sangen und tanzten dabei. Videos davon posteten sie in den sozialen Medien. Die Jugendlichen erklärten, dass sie damit auf die für alle geltenden Menschenrechte hinweisen und zeigen wollten, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Kleidung oder Frisur wahrgenommen werden sollten.

Wir schauten die Videos zu Hause mit unserem Sohn an, der gerade mit der Schule fertig war, und lachten gutmütig darüber: Die Jugendlichen waren offenbar gerade dabei, sich selbst zu finden und zu entdecken.

Aber das 34-jährige Oberhaupt der Stadt Luzk, Bürgermeister Igor Polischtschuk, fand noch während einer wichtigen Sitzung im Rathaus die Zeit, die Verkleidungsshow heftig zu kritisieren und über die Leh­re­r*in­nen herzuziehen. „Ich weiß nicht, warum man das gemacht hat, als Scherz oder Flashmob, aber es ist nicht normal, wenn ein Mensch männlichen Geschlechts solche Kleidung anzieht. Das ist eine Perversion. Wenn ich früher im Schlafanzug zur Schule gekommen wäre, hätte man mich dort rausgeschmissen – zu Recht“, sagte der Bürgermeister.

Keine Frauenkleidung für Männer

Der Leiter der Bildungsabteilung in der Stadtverwaltung versuchte, die Teilnehmenden zu verteidigen, erinnerte an den „Tag der Gleichstellung der Geschlechter“ und erklärte, im Unterricht sei darüber gesprochen worden, dass die Jugendlichen sich gegenseitig unterstützen sollten. Polischtschuk hingegen war unerbittlich: Er kündigte an, den Schuldirektor wegen der „Pyjama-Party“ zu feuern, denn Luzk sei eine „christliche Stadt“ und Männer könnten dort nicht einfach Frauenkleidung tragen.

Statt sich auf die Qualität der Bildung, die Anzahl der Schüler, die Mathematik beherrschen, oder auf sichere Bombenschutzräume in den Schulen zu konzentrieren, fiel der Bürgermeister unserer Stadt über fröhliche Jugendliche her. So klang es in den sozialen Medien. Im Krieg sind in der Ukraine Massenveranstaltungen verboten, darum können die Menschen ihren Protest nur online zum Ausdruck bringen.

Warum sollte man sich über so etwas überhaupt aufregen, wo hier jeden Tag an der Front gefallene Soldaten beerdigt werden? So fragten einige. Andere teilten die Kritik am Verhalten der Jugendlichen. Sie sahen deren harmlose Videos als Präzedenzfall für die Korrumpierung der öffentlichen Moral. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Luzk zu einer Brutstätte für Schwule und andere nicht-normale Menschen gemacht wird“, schrieben sie im Netz.

In der Ukraine beruft man sich häufig auf die „christlichen und traditionellen Werte“ und erklärt, dass Krieg angeblich nicht der richtige Zeitpunkt für den Schutz von Menschenrechten sei. Aber ich stelle mir vor, wie auch LGBT-Soldaten (und davon gibt es gar nicht so wenige) als pervers und nicht-normal bezeichnet werden. Diese Menschen kämpfen und sterben auch für eine bessere Ukraine, in der alle unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung respektiert werden.

Aus dem Russischen von Gaby Coldewey

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