SPD-Entscheidung über neue Landesspitze: Mehr Engagement, Genossen!

Beim SPD-Mitgliederentscheid setzt sich das Duo Hikel/Böcker-Giannini fast im ersten Wahlgang durch. Bei einem Parteitag hätte das anders ausgesehen.

Das Foto zeigt einen Stimmzettelumschlag bei der SPD-Mitgliederbefragung zum künftigen Landesvorsitz

Die erste Runde der Mitgliederbefragung zum SPD-Vorsitz gewann überraschend klar das konservative Duo Hikel/Böcker-Giannini Foto: Christophe Gateau/dpa

Die (Vor-)Entscheidung der SPD-Basis über ihre künftige Doppelspitze hat nicht nur Auswirkungen auf die Arbeit der schwarz-roten Koalition. Sie müsste auch die Mitgliedschaft des oft als links eingeordneten Berliner Landesverbands ins Nachdenken bringen. Denn fast jeder und jede Zweite von denen, die jetzt an der ersten Runde der Mitgliederbefragung teilnahmen, hat für das – für SPD-Verhältnisse – konservative Duo aus dem Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Ex-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini gestimmt.

Die Beteiligung war zwar nicht so hoch wie bei der Abstimmung über den schwarz-roten Koalitionsvertrag vor einem Jahr, als fast zwei Drittel ihr Stimmrecht nutzten. Doch auch eine Wahlbeteiligung von fast 50 Prozent der rund 18.000 Mitglieder lässt einige Rückschlüsse zu. Der wichtigste davon: Die Mitgliedschaft ist weit weniger links orientiert als ihr wichtigstes Gremium, der Landesparteitag, der auch den Landesvorstand wählt. Während anderswo von Rechtsruck die Rede ist, ist der Parteitag mit seinen rund 280 Delegierten in den vergangenen Jahren fortwährend nach links gerückt.

Gut abzulesen ist das am Umgang mit dem Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“. 2019 stimmte zuletzt eine Mehrheit der SPD-Delegierten dagegen, großen Wohnungsunternehmen ihre Bestände zu nehmen. Das gelang aber mutmaßlich nur, weil fast alle führenden Köpfe des Landesverbands um den damaligen Partei- und Regierungschef Michael Müller mit Wucht auf eine Ablehnung drängten. Gefühlt alle Redner unter 40 sprachen sich für eine Enteignung aus.

Drei Jahre später, 2022, hatten sich die Verhältnisse schon umgekehrt. Da votierte eine Mehrheit der Delegierten anders als früher nicht bloß für einen Planungsstopp für die Autobahn 100 wie zuvor schon die Grünen und die Linkspartei, sondern sprach sich auch für eine Enteignungsgesetz aus. Franziska Giffey und Raed Saleh, die seit Ende 2020 eine Doppelspitze bildeten, wurden – ohne Gegenkandidaturen – mit nur 59 und 57 Prozent der Stimmen als Landesvorsitzende wiedergewählt.

Missverhältnis zwischen Basis und Parteitag

Eine Partei auf Linkskurs, ganz klar. Dass die Basis mehrheitlich anders tickt, zeigte sich jedoch beim Mitgliederentscheid über die schwarz-rote Koalition im Frühjahr 2023: 54,3 Prozent stimmten für das Bündnis mit der CDU. Als knapp bewerteten das viele – doch bei einem vom linken Parteiflügel dominierten Landesparteitag wäre die Koalition wohl überhaupt nicht durchgekommen.

Solch ein Missverhältnis zwischen Grundhaltung der Mitgliedschaft und wichtigstem Gremium kann einer Partei auf Dauer nicht guttun. Wenn sich das ändern soll, darf sich die eher konservativ tickende Basis nicht allein darauf beschränken, regelmäßig den Beitrag vom Konto abbuchen zu lassen.

Das heißt nicht zwingend, Ämter und Mandate übernehmen zu müssen – wobei das übliche, auch von Elternabenden an Schulen bekannte „Das sollen mal andere machen“ letztlich nichts als Drücken vor gesellschaftlicher Verantwortung ist. Aber an Versammlungen der Ortsvereine oder Abteilungen teilzunehmen, wäre schon sinnig: Denn die bestimmen, wer als Delegierte zum Kreisparteitag geht, und der wiederum bestimmt die Landesdelegierten, die dann den Vorstand wählen und beispielweise über das Thema Enteignung entscheiden.

Solches Engagement wäre auch dem Führungspersonal gegenüber, egal ob links oder konservativ eingestellt, ein faireres Verhalten. Denn wenn die nicht wissen, wer da eigentlich in der Mehrheit die über 18.000-köpfige Mitgliedschaft ausmacht, laufen sie Gefahr, von einer Basisbefragung komplett überrascht zu werden. Das kann viel Vorarbeit zunichtemachen, Vertrauen bei anderen Parteien zerstören.

Das muss nicht sein. Ein paar Mal im Jahr zu Parteiveranstaltungen zu gehen, schlimmstenfalls nur zur wichtigsten Versammlung, sollte auch für familiär oder beruflich stark eingespannte Parteimitglieder möglich sein. Letztlich müsste es auch eine Frage der Selbstachtung sein: Will man/frau wirklich bloß Karteileiche sein?

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Jahrgang 1967. Seit 2002 mit dreieinhalb Jahren Elternzeitunterbrechung bei der taz Berlin. Schwerpunkte: Abgeordnetenhaus, CDU, Grüne.

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