Neue Restriktionen für Asylsuchende: Klatschen für Geflüchtete

Die Proteste Hunderttausender gegen die AfD wären die perfekte Gelegenheit für progressive Migrationspolitik. Doch Bund und Länder sehen das anders.

Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock klatschen auf einer Demo gegen rechts in Potsdam

Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock auf einer Demo gegen rechts in Potsdam Foto: Liesa Johannssen/reuters

Es hätte so schön sein können. Überall in Deutschland machen dieser Tage die Menschen in Sprechchören und auf Plakaten klar: Die größte Herausforderung in diesem Land sind nicht Geflüchtete, wie von der AfD über die Union bis in Teile der Ampel gerne verkündet wird. Die größte Herausforderung ist der rechte Angriff auf die Demokratie. Genau der richtige Moment, dachte sich offenbar SPD-Chef Lars Klingbeil, um zu verkünden: Man müsse nun aber wirklich mal mehr abschieben.

„Die Bundesländer haben jetzt die Möglichkeiten und sie müssen diese auch nutzen“, sagte Klingbeil der Neuen Osnabrücker Zeitung. Ganz im Sound des Bundeskanzlers, der schon im Oktober auf dem Cover des Spiegel verkündet hatte, Deutschland müsse „endlich in großem Stil abschieben“. Mitte Januar hat der Bundestag entsprechend deutliche Einschnitte in die Grundrechte Abzuschiebender beschlossen.

Wer abgeschoben werden soll, kann nun bis zu vier Wochen eingesperrt werden – ohne jemals gegen irgendein Gesetz verstoßen zu haben. Nicht mal Fluchtgefahr muss bestehen

Wer abgeschoben werden soll, kann nun bis zu vier Wochen eingesperrt werden – ohne jemals gegen irgendein Gesetz verstoßen zu haben. Nicht mal Fluchtgefahr muss bestehen. Wer in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, muss damit rechnen, dass seine Räume durchsucht werden – auch dann, wenn er gar nicht selbst abgeschoben werden soll, sondern nur der Nachbar eine Tür weiter. Es ist restriktive Symbolpolitik, die an der Zahl der Abschiebungen wenig ändern, im Leben der Betroffenen aber sehr viel Leid verursachen wird.

Gleiches gilt für die Bezahlkarten, die Geflüchtete künftig bundesweit anstelle eines Taschengelds in Bargeldform bekommen sollen. Auf diese digitale Variante der seit Jahren umstrittenen Sachleistungen hatten sich Bund und Länder schon auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) im November 2023 geeinigt.

Eine Demütigung

Jetzt stehen die Details fest: Es gibt ein Grundgerüst, mit dem jedes Bundesland macht, was es will. So wird sich von Land zu Land unterscheiden, ob man Bargeld abheben kann oder nicht, ob man bundesweit oder nur in bestimmten Regionen zahlen kann, an jedem EC-Gerät oder ob bestimmte Branchen ausgeschlossen sind.

Menschen den Zugang zu Bargeld zu beschränken oder gar zu verwehren, ist nicht nur eine Entmündigung. Es ist eine Demütigung.

Asylsuchende bekommen gerade mal 410 Euro im Monat für ihren notwendigen und persönlichen Bedarf. Günstig einkaufen im Internet, gebraucht auf Ebay oder dem Flohmarkt: alles nicht möglich mit einer Geldkarte ohne Abhebefunktion. Auch die 50 Cent, die viele Cafés verlangen, damit man seine Notdurft verrichten kann: sicher nicht mit Karte.

Bundeseinheitlich wird bei allen Unterschieden eins sein: Die Einführung dieser Karte wird so gut wie überall zulasten der Geflüchteten gehen. Das ist schließlich die Idee dahinter. Die Karte sei ein „wichtiger Schritt, Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken“, findet Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU).

Soll heißen: Geflüchteten soll es hier richtig mies gehen. Man will vermeintliche „Pull-Faktoren“ reduzieren, die die Menschen angeblich geradezu nach Deutschland locken. Dass diese These wissenschaftlich nicht belegt ist und Ex­per­t*in­nen sie als „vage“ und „veraltet“ bezeichnen: geschenkt. Klingt gemein, klingt entschlossen – machen wir.

Monatelang hat sich die Ampelkoalition von rechten Stim­mungs­ma­che­r*in­nen in der Migrationsfrage treiben lassen: hin zu viel mehr Restriktion und weit weg von den vielen progressiven Ideen, die sie in ihrem Koalitionsvertrag mal versprochen hatte. Den Familiennachzug für subsidiär Geschützte zum Beispiel haben Bund und Länder bei der MPK einfach begraben.

Jetzt wäre die Gelegenheit gewesen, endlich nicht mehr eine immer weiter eskalierende Asyldebatte zu bedienen, sondern stattdessen eigene Themen auf die Agenda zu setzen. Nichts ist Rechtsextremen so zuwider wie eine plurale Einwanderungsgesellschaft, die ihre Probleme selbstbewusst ohne sie löst.

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Nur Scheinlösungen

Und doch fällt den demokratischen Parteien nichts anderes ein, als weiter populistische Scheinlösungen anzupreisen. Viel deutlicher kann man vielen derer, die gerade in Scharen gegen rechts auf die Straße gehen, gar nicht die kalte Schulter zeigen. Seit Wochen demonstrieren landauf, landab die Menschen in Deutschland gegen die AfD und den Rechtsruck.

Seien es Hunderttausende in Großstädten wie München oder Berlin oder Hunderte in kleinen Örtchen wie Puderbach oder Schleiz. Po­li­ti­ke­r*in­nen der demokratischen Parteien zeigen sich begeistert, beklatschen die Zivilcourage der Bürger*innen, laufen sogar fleißig mit. Dass aus diesen Demonstrationen aber auch eine Forderung an sie selbst erwächst, wollen viele offenbar nicht hören.

Weil in der aktuellen Debatte Dif­fe­ren­zierung oft zu kurz kommt, sei gesagt: Natürlich sind Abschiebungen abgelehnter Asylsuchender nicht das Gleiche wie die rechtsextreme Fantasie, deutsche Staats­bür­ge­r*in­nen mit Migrationshintergrund zu ­deportieren. Die Ampel ist nicht schlimmer oder auch nur genauso schlimm wie die AfD. Doch menschenverachtende Forderungen bekämpft man nicht mit menschenverachtender Politik.

Wenn die Menschenwürde von rechts infrage gestellt wird, ist es Aufgabe aller demokratischen Parteien, sie erst recht abzusichern. Und nicht, an Geflüchteten zu testen, wie weit man daran herumsäbeln kann, bevor das Bundesverfassungsgericht bremst.

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