Streiks und Arbeitszeiten: Habecks Ressentiments

Der Vizekanzler meint, es werde zu viel gestreikt, und weniger Arbeit sei keine gute Idee. Bedenklich, wenn ein Grüner das sagt.

Robert Habeck zwischen Hochhäusern.

Robert Habeck auf USA-Reise, hier in Chicago am 9. März Foto: Britta Pedersen/dpa

Es ist immer heikel, wenn sich Wirtschaftsminister zu sozialen Fragen äußern. Man denke an Wolfgang Clement, vor 20 Jahren SPD-Superminister für Wirtschaft und Arbeit. Der damalige Sozialdemokrat ist in bleibender Erinnerung mit seinen Äußerungen zu angeblich „parasitärem Verhalten“ von Langzeitarbeitslosen, die das Hartz-IV-System missbrauchten. Begeistert bot ihm die FDP damals den Parteiwechsel an.

Jetzt ist ein Grüner Wirtschaftsminister – Robert Habeck. Er hat nun die Streiks in Deutschland gerügt; vielleicht hatte er auch selbst Ärger mit seiner Reiseplanung gehabt, Weselsky und Co sei Dank. „Jedenfalls wird ein bisschen im Moment zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt beziehungsweise geworben. Und das können wir uns in der Tat nicht leisten“, sagte der Grünen-Politiker und Vizekanzler. Deutschlands Wirtschaft stagniere, gleichzeitig seien 700.000 offene Stellen gemeldet. Dieses Problem werde sich bei stärkerem Wirtschaftswachstum und zunehmender Alterung in der Gesellschaft noch verschärfen. Das Volumen aller Arbeitsstunden reiche nicht aus, meint Habeck.

Es wird zu wenig gearbeitet und zu viel gestreikt in Deutschland! Wenn schon ein Grüner das sagt, dann verschiebt er die Maßstäbe dessen, was allgemeiner Sprachgebrauch werden könnte, auch in den grüngefärbten Milieus. Es ist ein neuer Sound. Was kümmert da die nüchterne Statistik, die besagt, dass in Deutschland gar nicht so viel gestreikt wird im internationalen Vergleich? Und die 35-Stunden-Woche ist vielerorts schon Realität. Sicher: Man kann die derzeitige Ausgestaltung der Bahnstreiks kritisieren.

Sinnlose Appelle

Was zählt in der öffentlichen Meinung, ist das Ressentiment, und in einer alternden Gesellschaft ist das Arbeitsvolumen in der Tat ein heikler Punkt. Der wird getriggert durch die Frage des Renteneintrittsalters und das Gerede über Vier-Tage-Wochen, mit denen Firmen um jungen Nachwuchs buhlen. Appelle wie „Arbeitet mehr!“ sind dabei allerdings genauso sinnlos wie das Anprangern von „faulen Arbeitslosen“ vor 20 Jahren zu Zeiten der strukturellen Massenarbeitslosigkeit.

Denn so wenig wird gar nicht gearbeitet, ob bezahlt oder unbezahlt. Arbeitende Mütter und Väter müssen in der Kinderbetreuung immer wieder einspringen angesichts der Kita- und Schulmisere. Viele Erwerbstätige müssen schauen, wie sie die Betreuung alter Eltern mit ihrem Job verbinden. Immer mehr über 65-Jährige arbeiten. Es wird schon allerhand herumprobiert. Unnötig also, dass ein grüner Wirtschaftsminister die Ressentiments befeuert. Das verschwendet nur politische Energie. Können wir uns nicht leisten.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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