Empfehlungen zu § 218-Reform: „Erwarte, dass sie diese umsetzen“

Die Juristin Liane Wörner gehörte zur Expert_innengruppe für die Reform des Abtreibungsrechts. Im Gespräch weist sie die Kritik an der Kommission ab.

Auf einem hellen Banner steht § 218 und wird von einer Person mit einer Farbrolle mit der Farbe lila übermalt . Zu sehen sind nur die Hände, die in grünen Gummihandschuhen stecken und die Arme

Flashmob des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung unter dem Motto: Legal, einfach, fair, in Berlin am 15.04.2024 Foto: Sebastian Gollnow/dpa

taz: Frau Wörner, die MinisterInnen wollen die Ergebnisse Ihrer Kommission prüfen. Zur konkreten Umsetzung der Empfehlungen haben sie sich nicht geäußert. Wie finden Sie das?

Liane Wörner: Das war genau so erwartbar. Den MinisterInnen wurde erst heute offiziell der Bericht überreicht. Sie müssen jetzt sorgfältig gemeinsam prüfen. Dafür haben sie sich erklärt. Was ich sehr positiv finde, ist, dass sie die Dringlichkeit des Themas sehen, dass sie beschleunigt prüfen wollen und dass sie sich des Themas wegen seiner gesellschaftlichen Bedeutung annehmen wollen.

48, Strafrechtsprofessorin und Direktorin des Zentrums Human Data Society an der Uni Konstanz. In der von der Regierung eingesetzten „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ koordinierte sie die Arbeitsgruppe zum Schwangerschaftsabbruch

Erwarten Sie nun, dass die Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch in Deutschland reformiert wird?

Wenn sich drei Ministerien zur Aufgabe machen, die reproduktive Selbstbestimmung zu reformieren und eine entsprechende Kommission aus renommierten Wissenschaftler_innen einsetzen, gehe ich doch stark davon aus, dass sie unsere Empfehlungen dafür als relevant betrachten. Ich erwarte, dass sie diese dann auch umsetzen.

Die Debatte über Ihre Studie ist schon hochgekocht, bevor Sie Ihre Ergebnisse überhaupt offiziell vorgestellt hatten. Haben Sie das erwartet?

Die Ergebnisse unserer Studie wurden vergangene Woche durch ein Leak bekannt. Wie es dazu kam, wissen wir nicht. Problematisch daran ist, dass dadurch Wissenschaftler_innen die Möglichkeit genommen wird, Arbeitsergebnisse öffentlich zu interpretieren. Das ist für eine qualitative Medienberichterstattung, die wir uns wünschen, bedauerlich.

Unionsfraktionsvize Dorothee Bär hat die Unabhängigkeit der Kommission in Frage gestellt und gesagt, Sie hätten geliefert, was „bestellt“ worden sei.

Wenn Frau Bär meint, dass wir diesen Auftrag erledigt haben, bedanke ich mich für das Lob. Wir haben unabhängig untersucht, ob und wie man den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafrechts regeln kann. Das haben wir unter Beteiligung der Fraktionen des Parlaments sowie unter Hinzuziehung von 39 uns vorgelegten Stellungnahmen von Interessenverbänden und unter Berücksichtigung sämtlicher weiterer uns zugesandter einzelner Schriften getan. Wer den Bericht liest, liest auch, dass wir uns mit dem Schutz des Fötus intensiv befassen – ebenso intensiv wie mit dem Schutz der Schwangeren. Unser Gesamtkonzept berücksichtigt alle Belange.

Für die ersten drei Monaten empfehlen Sie eine Legalisierung. Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto stärker rückt der Embryo ins Blickfeld. Konkrete Empfehlungen für eine Regelung geben Sie dann nicht mehr. Drücken Sie sich davor?

Auf keinen Fall. Aber wir können und dürfen dem Gesetzgeber keine Gesetze vorschreiben. Ob er sich dazu entschließt, Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich für rechtmäßig zu halten, ist seine Sache. Wir haben ein konsequentes Konzept erarbeitet, um das Recht zum Schwangerschaftsabbruch vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Was meinen Sie damit?

Derzeit werden zu Beginn von Schwangerschaften rechtswidrige, aber straffreie Abbrüche durchgeführt. Das betrifft die meisten der in Deutschland durchgeführten Abbrüche. Rechtmäßigkeit ist die Ausnahme und bedarf der Feststellung einer Indikation, also zum Beispiel der medizinischen oder kriminologischen. Wir empfehlen: Am Anfang der Schwangerschaft grundsätzliche Rechtmäßigkeit, gegen Ende grundsätzliche Rechtswidrigkeit mit Ausnahmen. Doch auch dann müssen Regelung und Ausnahmen nicht zwingend im Strafgesetzbuch geregelt sein.

Angenommen, es kommt zu einer Gesetzesänderung – ist dann wieder das Bundesverfassungsgericht dran? Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei hat eine dortige Klage bereits angekündigt.

Die Möglichkeit besteht, ja.

Haben Sie die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts im Prinzip schon vorweggenommen?

Das Gericht würde eine andere Situation vor Augen haben als wir jetzt. Jetzt gelten die Paragrafen 218 und 218a. Wenn das Gericht dran ist, würden die nicht mehr in dieser Form gelten. Bestenfalls greift das Gericht dann auf unsere Argumentationen zurück.

Könnte das Gericht ein neues Gesetz wieder für verfassungswidrig erklären – wie schon 1975 und 1993?

Das wäre ein Worst-Case-Scenario. Aber wir haben nicht mehr 1993, sondern dann hoffentlich 2025. Alles Weitere wäre Spekulation.

Ihre Arbeitsgruppe bestand nur aus Frauen. Führt das zu einer einseitigen Perspektive?

Die Besetzung der Kommission liegt außerhalb unseres Entscheidungsbereichs. Die Ministerien haben die Wissenschaftler_innen der Fachgebiete gemeinsam ausgewählt. Unsere Perspektiven in der Kommission auf das Thema sind sehr verschieden. Das war erforderlich und hilfreich, um die weite Dimension des Themas zu verstehen. Eine Kommission mit diesen Expertisen und diesen Auffassungen kommt zu diesem Ergebnis – männlich oder weiblich oder divers, das spielt keine Rolle. Früher wurde übrigens nie gefragt, warum Kommissionen nur männlich besetzt waren.

Was erwarten Sie für die kommenden Monate?

Ich hoffe, dass viele Personen aus allen Perspektiven heraus kritisch unsere Ergebnisse diskutieren werden. Bei allem Respekt für den Schutz des ungeborenen Lebens muss die Einsicht entstehen, dass für Frauen Menschenrechte gelten. Eine Frau hat reproduktive Rechte. Diese müssen geschützt werden.

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