Leerer Bahnsteig.

Foto: Daniel Karmann/dpa

Bahn-Angestellte über den Streik:„Mitarbeiter ausnehmen geht nicht“

In Deutschland stehen die Züge still, die GDL streikt. Falls Ihnen das übertrieben vorkommt: Fünf Mit­ar­bei­te­r:in­nen erklären ihre Gründe.

24.1.2024, 08:00  Uhr

Fünf Bahn-Mitarbeiter:innen über ihren Alltag und ihre Gründe für einen Streik. Protokolle von Adefunmi Olanigan und Raoul Spada.

Maximilian Helmschmied, Zugbegleiter

Foto: privat

Wenn ich morgens am Bahnhof in der Meldestelle ankomme, hab ich nur ein paar Minuten, um mir den Dienstauftrag anzusehen. In der Regel weiß ich schon, wo es hingeht. Nur manchmal gibt es Änderungen im Plan. Die Uniform habe ich dann schon an. Nach dem Check geht es gleich zum Bahnsteig. Ich bin kein Frühmensch, manchmal muss ich mich schon sehr motivieren. Aber die Arbeit macht mir Spaß, deswegen mache ich das ja auch. Wenn ich nicht mit Menschen arbeiten und ihnen helfen wollte, wäre ich falsch in dem Beruf. Man hat ständig mit Reisenden zu tun, ist mit Problemen konfrontiert – da reichen ja oft fünf Minuten Verspätung.

Als Kundenbetreuer versuche ich alles Mögliche, zu helfen. Manchmal klappt’s, aber der Fernverkehr wartet natürlich nicht oft auf den Nahverkehr. Dann helfe ich beim Raussuchen neuer Verbindungen. Wenn ich in den Zug komme, mache ich eine Begrüßungsansage – ich mach die Durchsagen für alle verständlich, mit ein bisschen Humor, um die Sache aufzulockern. Das wird mir immer wieder positiv zurückgespiegelt. Das sind dann so Momente, wo man sagt: Ach Mensch, wie schön!

Oder ich bekomme den Frust ab. Kurz nachdem ich ausgelernt hatte, ging Corona los – über die Begegnungen müssen wir gar nicht reden. Was uns da aufgehalst wurde. Maskenkontrolle, Nachweise, Zertifikate, Tests. Das war Sprengstoff. Es gibt Kollegen, die hatten wirklich unschöne Begegnungen: aggressivste Stimmung, physische Angriffe. Manche sind deswegen bis heute nicht wieder im Dienst.

Unsere Schichten werden durch Betriebsräte ganz gut kontrolliert, das heißt, bei uns gibt es meistens genug Zeit zwischen Schichtende und Beginn, aber bei manchen Kollegen ist das ganz anders. Man unterhält sich ja. Die Schichten hören im Nahverkehr auch meistens pünktlich auf, mal geht es aber auch eine halbe Stunde länger. Dass es da im Fernverkehr anders zugeht, finde ich krass.

Natürlich bin ich gewerkschaftlich auch engagiert, ist klar, aber einfach als Mitarbeiter finde ich es sehr schade, was mein Arbeitgeber gerade macht. Ein halbes Jahr nach dem Tarifabschluss mit der EVG (Eisenbahn- & Verkehrsgewerkschaft) reagieren sie auf unsere Forderungen und bieten weniger an, als die EVG-Leute bekommen. Das ist reine Provokation. Dazu kommt die angebotene Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, aber das ist kein echtes Wahlmodell. Mit einem Vorlauf von drei Monaten kann ich auch jetzt schon mit den Stunden runtergehen, halt ohne Bezahlung.

Nach Corona hat es eine ganze Weile gedauert, aber es ist wieder besser geworden. Die Partygänger sind wieder da, mit denen man auch mal Späße machen kann. Letztens hat jemand seinen Anschluss nach Paris verpasst – da hab ich ihm geholfen, dass er nicht vier Stunden auf den nächsten warten muss. Wenn man bei so was helfen kann und dann schlägt einem Dank von glücklichen Reisenden entgegen!

Philipp Grams, Lokführer (ICE)

Foto: privat

In schnellen weißen Zügen mit 300 km/h von Frankfurt nach Köln durch die Natur – Geschwindigkeit hat mich schon immer fasziniert, ich wollte zur Bahn, um Hochgeschwindigkeitszüge zu fahren. 2008 habe ich meine Ausbildung bei der Bahn im Güterverkehr begonnen, als Lokführer. Nach ein paar Zwischenstationen kam ich zum Fernverkehr, habe vor ein paar Jahren die Zusatzausbildung zum Auslands­lokführer gemacht, Französisch und Niederländisch gelernt und durfte dann den ICE nach Brüssel fahren. In einem vollen ICE bin ich für bis zu 900 Menschen verantwortlich. Diese Verantwortung kann eine Last sein, aber sie ist auch schön.

Aber die Arbeitsbedingungen wurden in den vergangenen Jahren immer schlechter, und ich habe festgestellt, dass ich immer unzufriedener werde. Ich habe gemerkt, ich muss was tun, nicht mehr nur meckern mit den Kollegen im Pausenraum. Deshalb habe ich mich vor zwei Jahren ehrenamtlich bei der GDL als Vorsitzender der Ortsgruppe Köln starkgemacht. Da kann ich meinen Kollegen helfen, ihre Probleme weitertragen und bekomme dafür Wertschätzung zurück. Das Gefühl kannte ich als Lokführer gar nicht, beim Unternehmen DB ist die Wertschätzung gleich null.

Ich verstehe, dass die DB auch in Personalnot ist. Aber die Mitarbeiter dermaßen auszunehmen geht nicht. Bei uns gibt es Schichten aller Art, alles ist jeden Tag durcheinander – dieses typische Dreischichtenmodell gibt es nicht. An einem Tag beginnt man 4.04 Uhr, am nächsten Tag arbeitet man von 10.37 Uhr bis abends 19 Uhr und am Folgetag ist wieder 7 Uhr Dienstbeginn. Die Regelungen aus dem Tarifvertrag werden maximal ausgereizt. Etwa die 36 Stunden Ruhezeit. Da arbeiten wir fünf Tage am Stück, haben dazwischen diese 36 Stunden und dann wieder fünf Tage und erst dann mindestens zwei Tage am Stück frei. Das heißt, die Kol­le­g:in­nen haben kaum mal Zeit, den Körper runterzufahren, den Haushalt zu machen, Freunde zu treffen. Wenn man arbeitet, möchte man auch einfach mal ein Wochenende auf der Couch liegen. Das haben wir gar nicht. Ich bin kein Single mehr, wo das anfangs egaler war, wenn man viel arbeitet.

Die Führungskräfte haben ihre Leute völlig aus den Augen verloren. Die Teamleiter und Standortleiter verschließen ihre Augen vor der Realität. Es heißt dann immer, Claus Weselsky als GDLer und Martin Seiler seitens der DB müssen das klären. Dabei ist es ihr Laden vor Ort, wo die Stimmung schlecht ist. Alle sind angespannt, weil sie überlastet sind. Wir von der GDL wollen den Beruf attraktiver machen. Dafür stellen wir Forderungen und wir wissen, dass die natürlich nicht alle eins zu eins umgesetzt werden können und es Kompromisse braucht. Aber im Dezember sagte die Bahn uns erst, es ist gar nichts möglich, und zwei Wochen später liest man in der Presse, dass sich der Bahnvorstand über 5 Millionen ausschüttet. Das war ein Schlag ins Gesicht für alle Mitarbeiter.

Mary-Ann Luft, Service-Mitarbeiterin

Foto: privat

Ich bin als Quereinsteigerin zur Bahn gekommen. Mein Verlobter hatte sich da schon als Lokführer beworben. Meist bin ich jetzt im „normalen“ mobilen Service draußen unterwegs. Im Hauptbahnhof heißt das: Wir laufen auf dem Querbahnsteig hin und her. Wenn wir sehen, dass jemand Hilfe braucht, dann sind wir zur Stelle. Aber wir haben auch Mobilitätsaufträge, wenn ein Rollstuhlfahrer Hilfe beim Aus- oder Einsteigen per Hublift braucht. Wir helfen auch blinden oder orientierungslosen Personen oder Fahrgästen, die es mit dem Gehen schwer haben, etwa wenn sie nach ­einer Operation einen bahn­eigenen Rollstuhl brauchen. Im Service haben wir ein Auge darauf, wenn mal was kaputtgeht, oder auch bei herrenlosen Gepäckstücken. Als örtliche Aufsicht bin ich noch dafür zuständig, dass Züge so schnell wie möglich den Bahnhof wieder verlassen, damit sie auch pünktlich bleiben.

Sonst bin ich supergerne auch in der DB Information. Da bin ich die, die Tickets freistempelt, wenn es zu Verspätungen kommt. Ich helfe mit neuen Verbindungen, wenn Fahrgäste einen Anschluss verpasst haben. In der Fundstelle kümmere ich mich darum, dass die Fundsachen ordentlich eingetragen werden und am Ende beim richtigen Besitzer landen. Wir transportieren auch wichtige Pakete schnell von A nach B – die müssen ja auch ihren Zug bekommen.

Die Arbeitsbedingungen sind aktuell sehr hart, da stimmt sogar mein Chef zu. Ich finde einfach, das Gehalt sollte immer der Inflation angepasst werden. Ich hab eine Freundin in der Schweiz, die bekommt jedes Jahr ihre Gehaltserhöhung, aber wir müssen immer wieder dafür streiten. Den Schichtdienst kenne ich schon aus meinem vorigen Job im Einzelhandel. Nur die Nachtdienste sind neu – davor hatte ich erst Schiss. Aber nach dem ersten merkt man: So schlimm war das ja gar nicht. Man hat halt viel mit Leuten zu tun, die ihren letzten Zug verpasst haben. Da kriegt man oft was ab, Gemecker und Beleidigungen. Aber es gibt auch lustige Geschichten: Nach einem Eintracht-Spiel mit Nachspielzeit hat zum Beispiel mal die Hälfte der Fans die letzte Verbindung verpasst. Da hat man dann seinen Spaß.

Es sind die kleinen Momente: strahlende Augen von Kindern, wenn man ihnen ein Ausmalheft oder ein paar Gummibärchen gibt. Denen ist ganz egal, ob sie zwei Stunden später ankommen. Einmal, als wir echt viel zu tun hatten, kam eine etwas ältere Dame, und die hat mich schon total lieb begrüßt und war auch ganz, ganz leise, und die war total verständnisvoll, dass der Zug ausfällt, und so weiter. Und nachdem ich ihr Auskunft gegeben hatte, gab sie mir eine kleine Schokolade und sagte: „Hier, für die Nerven, ich wünsche Ihnen noch viel Kraft.“ Viele finden die Fahrgastrechte verwirrend. Und wenn man den Kunden das erklärt und die das verstehen, dann sind das schöne Momente.

Mathias Kirchherr, Zugbereitstellung

Foto: privat

Wenn alles läuft und der Zug mitspielt, dann macht mein Job richtig Spaß. Dieses Gefühl ist eigentlich immer geblieben. Ich könnte niemals im Büro arbeiten. Ich bin der Typ, der draußen rumfahren und was sehen will. Ich arbeite mit Technik und trage selbst Verantwortung. Seit 1987 bin ich Eisenbahner. Ich bin früher auf Dampf- und Diesellok gefahren, im Güter- und Personenverkehr, habe auch mal auf Montage gearbeitet, aber das ständige Unterwegssein hielt ich nicht mehr aus.

Heute arbeite ich in der Zugbereitstellung in Rummelsburg (Berlin) und richte Züge zur Ab- und Weiterfahrt her. Dafür rangiere ich Züge in unserem Werk, die hier auch gereinigt und repariert werden. Überprüfe ankommende Züge. Gebe die Fahrplaninformationen ein und teste die Bremsen der ICEs, bevor sie wieder rausfahren. Dann bringe ich die Züge von den Werkhöfen zum Startbahnhof und übergebe sie dem Streckenlokführer. Das kann ganz schön stressig werden.

In meiner Arbeit muss ich einem strikten Zeitplan folgen. Für alle meine Schritte ist ein genaues Zeitfenster vorgesehen. Zum Beispiel wenn ich die Bremsen bei einem Zug prüfe – irgendjemand hatte die Arbeitsschritte mal mit der Stoppuhr abgemessen, und genauso lange darf ich brauchen. Einhalten kann ich die aber nur, wenn alles nach Regelbetrieb läuft. Wenn das Betriebssystem mal hakt und neugestartet werden muss, ist für solche Fälle kein Puffer eingeplant.

Bei der Deutschen Bahn arbeitet immer irgendwer, egal welche Uhrzeit. Wie fast alle arbeite auch ich im Schichtdienst. Der ist eine gesundheitliche Belastung, vor allem bei viel Wechsel zwischen verschiedenen Schichten. Wie viele anderen habe ich auch gelegentlich Schlafprobleme. Noch doller wird das, wenn auch mal noch private Probleme dazukommen. Folgen können Konzentrationsmängel sein.

Bei uns im Werk arbeiten wir vor allem in Nachtschichten. Aber es gibt auch Schichten, die starten nachts um 3 Uhr. Das ist eigentlich keine Nachtschicht, sondern zählt als Frühschicht. Manchmal weiß man gar nicht, wie man schlafen soll. Um 9 endet vielleicht die Schicht, dann bist du hundemüde. Aber wenn du da schläfst, kannst du abends vielleicht nicht mehr gut schlafen, um Energie vor der Schicht – die wieder mitten in der Nacht beginnt – zu tanken. Das betrifft vor allem die Streckenlokführer.

Früher bin ich auch Langstrecken gefahren. Mit zu wenig Ruhe arbeiten Lokführer auf dem Zahnfleisch. Aber sie haben eine Verantwortung gegenüber ihren Fahrgästen. Und im Ernstfall sind wir die Ersten, die bei einem Unfall sterben. Genauso, wie es verantwortungslos wäre, unter Einfluss von Rauschmitteln zur Arbeit zu kommen, ist auch Übermüdung ein Problem. Gerade deshalb braucht es längere Ruhezeiten. Da würde eine Stundenreduzierung helfen.

Dominik Rapp, Lokführer (Nahverkehr)

Foto: privat

Eigentlich wollte ich Fahrdienstleister werden. Die Ausbildung habe ich bei der S-Bahn Berlin 2015 angefangen. Aber Lokführer lag mir dann eher – und ich hab in Absprache mit meinem Ausbilder bei der DB Regio in Berlin-Lichtenberg zur Lokführer-Ausbildung gewechselt. Nach einer Station in der Nähe von Berlin bin ich im ersten Coronawinter für drei Jahre nach Frankfurt (a.M.) gegangen, bevor ich hier in Koblenz gelandet bin. In Frankfurt hab ich es nur drei Jahre ausgehalten. Die Fahrzeuge waren katastrophal, Störungen ohne Ende. Stell dir das so vor: Du sitzt den Tag über im Führerstand und die Sprachausgabe sagt die ganze Zeit: „Störung! Störung! Störung!“ Da kriegt man den Rappel. Und vor den lokbespannten Wendezügen dort bin ich geflohen – wenn’s mal eine Türstörung gab, musste man den ganzen Zug ablaufen und nach einer kleinen Lampe schauen. Wenn die blinkt, dann weiß man: Okay, in dem Wagen ist eine von vier Türen kaputt. Die muss man dann in der Pause nacheinander absperren und wieder aufmachen. So was dauert auch mal eine gute halbe Stunde.

Dann wird uns die Pause durchbezahlt und muss natürlich nachgeholt werden. Heißt leider auch: Den pünktlichen Feierabend kann man sich in der Regel abschminken. Ich muss in die Dienststelle laufen, mir einen Zettel nehmen und alles aufschreiben. Die Arbeit ist immer enger getaktet, man hat kaum noch Zeit zum Durchschnaufen. Das schlaucht extrem. Wenn ich nach vier, fünf Schichten nach Hause komme, sagt mein Kopf schon: „Wie gehe ich jetzt am besten schlafen, damit ich bei der Arbeit übermorgen wieder gut ausgeschlafen bin?“ Deswegen braucht es die 35-Stunden-Woche und mindestens 48 Stunden Ruhezeit pro Woche.

Oft wird man als Lokführer von den Fahrgästen für Verspätungen verantwortlich gemacht, das geht bis hin zu physischen Übergriffen. Aber dabei vergisst man halt ganz gerne, dass wir im gleichen Boot sitzen. Man ist ja selbst auch mit der Eisenbahn unterwegs und ärgert sich, wenn was ist. Die Verantwortlichen sitzen woanders, aber all der Frust landet am Ende bei uns. Mit der Zeit lernt man, das wegzustecken. Das meiste perlt an der Uniform ab. Umso schöner ist es, wenn ich dann mal ein Kompliment für eine schöne Ansage bekomme. Ich geb mir ja echt viel Mühe, kein Bahndeutsch zu verwenden und zu erklären, was gerade passiert, wenn wir mal zum Halt gekommen sind.

Es ist aber so schön, wenn einmal im Monat alles rund läuft, wenn wirklich alles funktioniert. Ein Fahrzeug ohne Störung, mit ausreichend Zugbegleitern besetzt. Wenn das Wetter mal richtig toll ist, sei es ein Schneesturm oder ein Sonnenuntergang, der sich in der Skyline spiegelt. Dann macht die Arbeit wirklich richtig Spaß und man fährt die Züge gerne von A nach B. Es ist ein bisschen ein Kampfspruch, aber da kann ich wirklich für alle sprechen: Wir sind ja Herzblut-Eisenbahner – und wir haben unseren Stolz.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.