Ignorante Au­to­fah­re­r:in­nen: Mehr Poller wagen

Einbahnstraßen, Spielstraßen oder Fahrradwege? Alles egal. Au­to­fah­re­r:in­nen rasen einfach durch. Die letzte Lösung: Poller, Poller, Poller!

Fahrradstreifen mit Pollern

Schützt Radfahrer vor Autos: ein biegsamer Poller in der Holzmarktstraße in Berlin-Mitte Foto: K.M. Krause/snapshot-photography

Wer wissen will, was in Sachen Mobilität in Deutschland das größte Problem ist, muss nach Berlin-Mitte fahren. Dort wurde Ende letzten Jahres die Tucholskystraße in eine Fahrradstraße umgewandelt. Natürlich wird der wortgewandte Namensgeber dieser Straße im Grab rotieren, weil nun auch er für diesen Euphemismus herhalten soll. Denn auch hier handelt es sich wie fast überall nur um eine Anwohnerparkplatzzufahrtsstraße, auf der Radler laut Straßenschild willkommen werden (wenn auch nicht von den Autofahrer:innen).

Die eigentliche Attraktion ist ein sogenannter Kiezblock an der Kreuzung zur Auguststraße. Auf der stehen nun diagonal gereiht ein paar rot-weiße Poller. Radfahrende dürfen und können dort geschwind hindurchrauschen. Au­to­fah­re­r:in­nen aber nicht. Sie müssen abbiegen. Aus einem zuvor beliebten Schleichweg für google-maps-gesteuerte Automobilisten mitten durch den innerstädtischen Wohnkiez wurde eine vergleichsweise ruhige Seitenstraße. Herrlich.

Wirklich für alle verkehrspolitisch Interessierten erhellend aber waren die drei, vier Wochen vor der Aufstellung der Poller. Auch da war die Durchfahrt für Autos verboten. Laut bereits aufgestellten Verkehrszeichen war nur abbiegen und nur in eine Richtung erlaubt. Aber was machten die Autofahrer:innen? Manche stockten kurz, guckten verunsichert, bevor sie dann geradeaus fuhren. Andere bretterten ganz ohne Halt weiter. Allenfalls ein Drittel hielt sich an die vorgegebene Richtung. Was mathematisch gesehen kein Wunder ist, bei drei Möglichkeiten. Kurz gesagt: Den motorisierten Automaten waren die Verkehrsregeln schlichtweg egal. Änderungen gab es erst mit Aufstellung der rot-weißen Pfosten. Seither ist Ruhe.

Keine Rücksicht

Ein Einzelfall? Keineswegs. Es ist überall in Berlin zu beobachten, wo Au­to­fah­re­r:in­nen per Verkehrszeichen um Rücksicht auf andere Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen gebeten werden. Sie halten einfach nicht an. Einbahnstraßenregelungen für Autos auf Fahrradstraßen? Ach was, Augen zu und durch! Schrittgeschwindigkeit auf Spielstraßen? Gilt nur für die Kinder, die zur Seite gehupt werden! Für Lieferanten oder Menschen mit Behinderung reservierte Parkplätze? Reg dich ab, ich steh’ hier nur ein paar Minuten.

Und damit wären wir endlich beim Thema dieses Textes. Die Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU (Was sonst? (na ja, bei der SPD wäre es auch nicht unbedingt besser))) hat in ihrem ersten Jahr im Amt so sehr auf die Bremse getreten, dass nicht einmal die Hälfte der für den Radwegeausbau eingeplanten Finanzmittel abgerufen wurden. Und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP (also in der gleichen Partei wie Autoverkehrsminister Wissing)) hat bei seinem Sparhaushalt en passant mal alle Mittel für den Bau von Fahrradparkhäusern bei Bahnhöfen gestrichen.

Man ist von diesen Parteien ja auch nichts anderes gewohnt. Im Gegenteil. Sie werden exakt für diesen Mist gewählt. Au­to­fah­re­r:in­nen nerven nicht nur auf den Straßen, sondern erst recht in der Politik.

Die FDP unter den Verkehrsmitteln

Von der FDP könnte man anderes erwarten – zumindest wenn sie sich als liberale Partei mal selbst ernst nähme.

Radler sind wendig, stets im Fluss, wie Fische im Schwarm. Dynamisch und selbstverantwortlich nutzen sie jede Gelegenheit für den Fortschritt und schaffen so gleichzeitig Platz für den Hintermann. Ihr individueller Drang nach vorn beschleunigt das gesamte System. In einer utopischen Stadt ohne motorisierten Verkehr würde „rechts vor links“ reichen, also ein Minimum an staatlichen Vorgaben. Anders gesagt: Das Fahrrad ist die FDP unter den Verkehrsmitteln. Nur dass die FDP das nicht weiß – die sitzt im BMW und glaubt, dass es Freiheit erst ab 150 Kilometern pro Stunde geben kann.

Man kann und muss sich also weiter über Autos, ihre Fah­re­r:in­nen und die Parteien echauffieren (was übrigens nichts mit dem Chauffieren von E-Autos zu tun hat, die in übervollen Innenstädten auch nur ein Problem sind). Wer sie bremsen will, muss Poller setzen. Auf den Straßen. Und noch besser bei der nächsten Wahl.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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